26.06.2025, 18-21:00 – opening Sunah Choi Maquette

GROTTO
Ayşe Erkmen
Emre & Dario
31.01.25—15.03.25
Vernissage: 30.01.2025, 18:00—21:00

Ein Möbelstück, das quer durch den Raum rutscht, ein Teller, der vom Tisch fällt und zerbricht, hohle Klopfer, die die Stille durchbrechen - diese unheimlichen Ereignisse werden für die Manifestation eines Poltergeistes gehalten. Diese ebenso beunruhigende wie vertraute rätselhafte Gestalt hat ihre Wurzeln in der deutschen Folklore. Mal furchterregend, mal komisch, versucht er, sich unter den Lebenden zurechtzufinden. Der Poltergeist ist also nicht nur eine störende Figur, sondern steht in der Populärkultur als Metapher für die allgegenwärtigen Ängste vor dem Anderssein und dem Unbekannten, die die kollektive Vorstellungskraft weiterhin prägen.

Diese geisterhafte Referenz erschien in einer kurzen Beschreibung der künstlerischen Praxis von Ayşe Erkmen: „In der Art eines Poltergeistes“, heißt es dort, “stellt sie einen Raum nebeneinander, verschiebt ihn, baut ihn um und dringt in ihn ein” (Fulya Erdemci). Seit mehr als fünf Jahrzehnten hat Erkmen (geb. 1949, Istanbul, Türkei) ein Werk entwickelt, das sich einer einfachen Kategorisierung entzieht. Ihre medien-, maßstabs- und zeitübergreifende Praxis ist tief in den Feinheiten der Orte und Kontexte verwurzelt, an denen ihre Werke Gestalt annehmen. Oft stört sie das Gewöhnliche durch poetische Gesten, wobei ihre Arbeit Humor und Kritik nahtlos miteinander verbindet und sich mit wiederkehrenden Themen wie Anwesenheit und Abwesenheit, Dislokation und Anpassung sowie Zugehörigkeit und Entfremdung auseinandersetzt.

Erkmens Werk Emre & Dario (1998), das bei GROTTO zu sehen ist, wurde ursprünglich für die Ausstellung Iskorpit konzipiert, die 1998 im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand. Das 12-minütige Farbvideo mit Ton zeigt den Sohn der Künstlerin, Emre, wie er zu Istanbul (Not Constantinople) tanzt – einem Lied aus dem Jahr 1954, das durch den in Izmir geborenen und in Paris lebenden jüdisch-türkisch-mexikanischen Sänger Dario Moreno (1921-1968) bekannt wurde. Vor einem strahlend weißen Hintergrund bewegt sich Emre, gekleidet in einem 90er-Jahre-Outfit aus schwarzem T-Shirt und Jeans, mit ansteckender Freude zu der beschwingten Melodie und dem eingängigen Refrain des Songs, der in einer Dauerschleife gespielt wird.

Istanbul c'est Constantinople
C'est à Istanbul ou Constantinople
Que je suis allé un jour pour y découvrir le grand amour
Que l'on attend toujours

Morenos Cover – eine französische Adaption des gleichnamigen englischen Liedes – war sowohl in Frankreich als auch in der Türkei ein Sommerhit. Es romantisiert die Umwandlung Istanbuls von Konstantinopel und stellt die Stadt als exotisierte Kulisse für eine fiktive Liebesgeschichte dar, die von westlichen Fantasien und orientalistischen Tropen durchdrungen ist. In Erkmens Arbeit wird der Refrain des Liedes in einer Schleife immer eindringlicher und löst allmählich eine subtile Spannung zwischen Leichtigkeit und Komplexität auf. Das Video endet damit, dass Emre, dessen Bewegungen mit der einsetzenden Müdigkeit langsamer werden, aus dem Bild tritt und nur den weißen Hintergrund für den Blick des Betrachters zurücklässt.

Auf das Wesentliche reduziert – ein Sohn, ein Lied und ein leerer Raum – setzt sich Emre & Dario mit den vielschichtigen Komplexitäten von Vertreibung und kultureller Zugehörigkeit auseinander. Das Werk entstand in einer Zeit des soziopolitischen Umbruchs sowohl in der Türkei als auch in Deutschland, wo die Wiedervereinigung tiefgreifende soziale Veränderungen inmitten eines Klimas zunehmender Fremdenfeindlichkeit mit sich brachte. Das Werk präsentiert den Begriff der Identität nicht als festes, sondern als fließendes Konstrukt, das durch individuelle und kollektive Erfahrungen, den Dialog zwischen den Generationen sowie geografische und kulturelle Kontexte geprägt ist. Ähnlich wie ein Poltergeist setzt sich das Werk mit seiner eindringlichen Ohrwurm-Melodie und den ungelösten Fragen im Kopf der betrachtenden Person fest.

Text von Liberty Adrien
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Special Thanks: Yağmur Ruzgar

Unterstützt von Trautwein Herleth

→ Presse

Mousse
Berliner Morgenpost (online & print)
CeeCee
Contemporary Art Library

Die Postkarte zur Ausstellung (1) ist online erhältlich via (1)

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